Wenn das Leben zur Kostenstelle wird – Deutschlands gefährliche Debatte über den Wert des Alters
Deutschland diskutiert wieder über seine Zukunft. Doch diesmal geht es nicht um Migration oder Klimapolitik, sondern um etwas Grundsätzlicheres: den Preis des Lebens selbst. Ausgelöst durch Äußerungen von Regierungsberater Hendrik Streeck stellt sich eine Frage, die man kaum aussprechen möchte: Sollte man alten Menschen noch teure Medikamente geben?
Allein die Formulierung zeigt, wie tief die Ökonomisierung des Denkens bereits reicht. Das, was früher ethische oder moralische Verantwortung war, wird heute in Zahlen übersetzt – Kosten, Nutzen, Effizienz. Das Leben wird zur betriebswirtschaftlichen Größe. Alte Menschen sind dann keine Erfahrungsträger mehr, sondern Posten in der Ausgabenbilanz.
Wer so argumentiert, rechnet nicht mehr mit Menschen, sondern mit Restlaufzeiten. Und während Politiker die „Kostenexplosion im Gesundheitssystem“ beklagen, schweigen sie über die Milliarden, die jedes Jahr in Subventionen, Prestigeprojekte oder militärische Beschaffungen fließen. Die Moral der Sparsamkeit gilt offenbar nur, wenn sie nach unten tritt.
Das Gefährliche an dieser Debatte ist nicht nur ihr Inhalt, sondern ihr Ton. Es klingt sachlich, vernünftig, abwägend – und genau das macht es so perfide. Wenn man beginnt, über den „Wert“ von Leben zu diskutieren, öffnet man die Tür für eine kalte Logik, die kein Mitgefühl mehr kennt. Heute sind es die Hundertjährigen, morgen die chronisch Kranken, übermorgen die Armen.
Denn wer in Armut lebt, stirbt statistisch früher – das weiß die Wissenschaft seit Jahren. Wenn also das Alter und die Armut die Lebensdauer verkürzen, dann spart das System schon von selbst. Und trotzdem wird gekürzt, gestrichen, gespart. Nicht, weil es nötig wäre, sondern weil es sich so vernünftig anhört.
Deutschland nennt das eine Zukunftsdebatte. In Wahrheit ist es eine Rückkehr zu einem Denken, das man längst überwunden glaubte: jenes Denken, das Leben in wertvoll und weniger wert einteilt – nur diesmal mit Tabellen, nicht mit Parolen.
Der Preis, den wir dafür zahlen, ist ungleich höher als jede Medikamentenrechnung: Es ist der Verlust unserer Menschlichkeit.![]()
