Soziale Gerechtigkeit

 Die wachsende Kluft

1. Überblick: Wo steht Deutschland?

Deutschland gilt oft als wohlhabendes und stabiles Land – und das ist es in vieler Hinsicht auch. Aber: Hinter dem wirtschaftlichen Erfolg verbirgt sich eine zunehmende soziale Spaltung. Trotz steigender Löhne und wachsender Vermögen bleibt die Armut auf einem hohen Niveau, und der Reichtum konzentriert sich stark bei wenigen.

Laut den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) lag die Armutsgefährdungsquote bei 15,5 %. Destatis+2Destatis+2
Gleichzeitig sind 21,1 % der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht (also nicht nur armutsgefährdet, sondern auch andere Formen der Benachteiligung). Destatis
Das ist eine erhebliche Zahl – über 17 Millionen Menschen in Deutschland. Destatis

2. Wer ist besonders betroffen?

  • Bildungsschere: In Haushalten, in denen die Haupteinkommensperson eine niedrige Bildung hat, war 2023 ein sehr hoher Anteil – 38,5 % – der Menschen armutsgefährdet. RKI GBE

  • Altersarmut: Der Risiko von Altersarmut steigt – besonders für Rentner*innen ab 65 Jahren. Laut Destatis haben 20 % dieser Gruppe ein Nettoäquivalenzeinkommen von maximal 1.400 €/Monat. Destatis

  • Regionale Unterschiede: Es gibt signifikante Diskrepanzen zwischen den Bundesländern in der Armutsgefährdung. RKI GBE

3. Vermögen und Ungleichheit

Vermögensverteilung

  • Die Ungleichheit beim Vermögen ist enorm. Der Gini-Koeffizient (ein Maß für Ungleichverteilung) bei Nettovermögen lag laut dem Bundestag bei etwa 0,71 (für Haushalte) bzw. 0,78 (auf individueller Ebene). Deutscher Bundestag

  • Im Sozialbericht 2024 heißt es, dass die reichsten 10 % der Haushalte rund 56 % des Gesamtvermögens besitzen. WZB+1

  • Laut BPB lag der Gini-Koeffizient des Vermögens in Deutschland 2021 bei 0,73. bpb.de

  • Ein anderes Maß: Das Verhältnis des Vermögens des 90. Perzentils zum 50. Perzentil lag 2021 bei 6,8 – das heißt: Wer im obersten Zehntel ist, hat im Schnitt fast sieben Mal so viel Vermögen wie jemand in der Mitte der Verteilung. bpb.de

Treiber der Vermögensungleichheit

  • Ein wesentlicher Faktor sind Erbschaften und Schenkungen: Diese tragen stark dazu bei, dass Vermögen über Generationen weitergegeben und konzentriert wird. WZB

  • Trotz steigender Vermögen insgesamt hat sich die Ungleichheit nicht nennenswert reduziert. Das meldet das WZB: Reiche werden reicher, aber die Armen profitieren nicht proportional. WZB

4. Strukturelle Herausforderungen & politische Kritik

  • Der Paritätische Gesamtverband warnt: Die extreme Vermögensungleichheit sei „Sprengstoff für die Demokratie“. Der Paritätische

  • Im neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung heißt es, dass jeder 6. Mensch in Deutschland in Armut lebt. Der Paritätische

  • Besonders problematisch: Sozialtransferleistungen (z. B. Grundsicherung) lindern Armut zwar, führen aber nicht immer dazu, dass Betroffene dauerhaft „weg“ von der Armutsgrenze kommen. Das zeigt sich besonders bei Menschen, die auf Bürgergeld angewiesen sind.

5. Wohnungsnot & Lebenshaltungskosten

  • Obwohl Deutschland wohlhabend ist, beklagen zivilgesellschaftliche Akteure eine zunehmende Wohnungsnot, insbesondere bei bezahlbarem Wohnraum. Der Europarat hat Deutschland bereits dafür kritisiert. DIE WELT

  • Viele Menschen mit geringem Einkommen geben einen sehr hohen Anteil ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten aus, was die Armutsbelastung verstärkt.

6. Politische Lösungsansätze & Forderungen

Aus den Analysen und Berichten lassen sich mehrere wirkungsvolle Forderungen ableiten:

  1. Progressive Besteuerung von Vermögen

    • Um die Konzentration von Reichtum zu entschärfen, fordern Expert*innen eine stärkere Besteuerung von Großvermögen, Erbschaften und Schenkungen.

    • Ein staatliches „Grunderbe“-Modell (z. B. für junge Erwachsene) wird diskutiert, um Chancengleichheit zu fördern.

  2. Sozialer Wohnungsbau & Mietregulierung

    • Mehr Investitionen in bezahlbaren Wohnraum – insbesondere in wachsenden Städten.

    • Einführung oder Ausweitung von Quoten für sozialen Wohnungsbau.

  3. Stärkung der sozialen Sicherungssysteme

    • Erhöhung von Leistungen wie dem Bürgergeld, damit sie nicht nur das Überleben sichern, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen.

    • Bürokratische Hindernisse abbauen, damit mehr Menschen Anspruch auf Hilfen haben und diese auch wirklich nutzen können.

  4. Bildungs- & Arbeitsmarktpolitik

    • Förderung von Qualifikation und Bildung insbesondere in benachteiligten Regionen und Gruppen (z. B. Personen mit niedrigem Bildungsniveau, lange Arbeitslosenphasen).

    • Höhere Mindestlöhne oder stärkere Kontrolle von Niedriglohnsektoren, damit Erwerbstätigkeit besser vor Armut schützt.

  5. Transparenz & Vermögensregister

    • Einführung oder Verbesserung von Vermögensregistern, damit Vermögensungleichheit messbar und steuerlich nutzbar wird.

    • Öffentliche Debatte über Vermögenskonzentration und ihre politischen Konsequenzen.

7. Fazit: Eine Gesellschaft am Scheideweg

Deutschland steht vor einer echten politischen Herausforderung. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst nicht nur im klassischen Einkommensbereich, sondern vor allem über Vermögen, das über Generationen vererbt wird. Das Risiko: Eine Demokratie, in der wirtschaftliche Macht zunehmend in den Händen weniger liegt. Gleichzeitig drohen ganze Bevölkerungsgruppen – Rentner*innen, Alleinerziehende, Menschen mit niedriger Bildung – dauerhaft abgehängt zu werden, wenn die sozialen Sicherungssysteme nicht grundlegend reformiert werden.

Die Debatte um Umverteilung, sozial gerechten Wohnungsbau und Vermögensbesteuerung ist deshalb nicht nur eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, sondern eine von demokratischer Stabilität.


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