Laut gegen Rechts

Wenn Worte das Stadtbild verändern

Der Versuch eines Kommentars

Es beginnt mit einem Satz, scheinbar harmlos, politisch kalkuliert, aber tief verwurzelt in einem alten Denken:
Migration wird zum „Problem im Stadtbild“ erklärt.

Damit verschiebt sich die Debatte. Es geht nicht mehr um Integration, Chancen oder Verantwortung – sondern um Ästhetik. Menschen werden zu einem Störfaktor, zu einem optischen Missstand, der beseitigt werden soll. Das ist kein politischer Lapsus. Das ist Rhetorik mit System.

Was hier geschieht, ist die sprachliche Verschiebung einer Grenze. Wenn Politiker wie Friedrich Merz oder Alexander Dobrindt Migration als optische Belastung beschreiben, wird eine Vorstellung aktiviert, die weit über den Inhalt hinausgeht:
Das Bild vom „fremden Körper“ im sauberen Stadtbild.

Diese Art von Sprache hat Geschichte. Sie ist kein Zufall, sondern Strategie. Denn sie erzeugt keine Angst vor Kriminalität oder Kontrollverlust – sie schürt Angst vor dem Anblick des „Anderen“. Sie verschiebt Empathie in Distanz und verwandelt Mitmenschen in Kulisse.

Das Gefährliche daran ist nicht der eine Satz. Es ist die Normalität, mit der er ausgesprochen wird – und der Applaus, der darauf folgt.
Rassismus wird nicht immer geschrien. Oft wird er höflich formuliert, parlamentarisch verpackt, medienkompatibel serviert. Genau das macht ihn so gefährlich.


a group of people walking down a hallwayDenn Sprache wirkt. Sie formt Bilder, verstärkt Vorurteile, schafft Realitäten.
Und wenn diese Realität lautet: „Die Stadt gehört den einen – und die anderen stören“, dann hat Rassismus längst seine Tarnung perfektioniert.

Deutschland hat kein Rassismusproblem am Rand – sondern in der Mitte.
Nicht auf den Straßen, sondern in den Worten.
In den Sätzen, die mit „Ich bin ja kein Rassist, aber …“ beginnen.
In der stillen Zustimmung, die solchen Formulierungen Bedeutung verleiht.

Während Armut wächst, die Bildung stagniert und soziale Spannungen zunehmen, wird Migration erneut zur Projektionsfläche gemacht. Eine bequeme Ablenkung, ein Ventil für politische Ratlosigkeit.
Das Muster ist alt: Wenn Argumente fehlen, wird Identität zum Thema.

Doch jedes Mal, wenn Worte Menschen zu Problemen machen, verschiebt sich die Grenze dessen, was sagbar ist – und was irgendwann auch getan werden darf. Die Sprache wird zur Vorstufe der Tat.

Die Geschichte hat uns das gelehrt. Nur wer sie verdrängt, glaubt, dass sie sich nicht wiederholen kann.Rassismus beginnt nicht mit Gewalt. Er beginnt mit Sprache.
Und wer schweigt, wenn Menschen sprachlich aussortiert werden, darf sich später nicht wundern, wenn Schweigen nichts mehr schützt.

Wenn Migration zum „Störfaktor im Stadtbild“ erklärt wird, ist das kein Versehen.
Es ist die leise Form des Rassismus – höflich, kodiert, aber wirkungsvoll.
Denn Sprache formt Denken.
Und wer Menschen sprachlich aussortiert, öffnet Türen, die besser geschlossen blieben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte vervollständigen... * Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.