Wenn die Würde im Grundgesetz steht – aber die Miete sie ausradiert
Die Menschenwürde ist der erste Satz unserer Verfassung. „Unantastbar“ steht dort. Stark, kraftvoll, unmissverständlich. Und trotzdem erleben Millionen Mieter das Gegenteil: Ihre Miete frisst das Einkommen auf, Wohnungssuche wird zur Demütigung, Verdrängung zur alltäglichen Realität. Das Grundgesetz verspricht Würde – der Wohnungsmarkt radiert sie aus.
Artikel 1: Ein starkes Wort – ohne starke Wirkung
Die Verfassung verpflichtet den Staat, die Würde jedes Menschen aktiv zu schützen. Dieser Schutz endet aber viel zu oft an der Wohnungstür. Denn im Grundgesetz gibt es kein explizites Recht auf Wohnen. Es ist nur indirekt vorhanden – abgeleitet aus Menschenwürde und Sozialstaatsprinzip. Eine juristische Konstruktion, die beeindruckend klingt, aber politisch viel zu selten wirkt.
Wenn Wohnen zur Existenzfrage wird, reicht ein indirektes Recht nicht aus. Es ist, als würde man versuchen, ein brennendes Haus mit einer Gießkanne zu löschen.
Wenn Mieten schneller steigen als Löhne – bricht Würde weg
Wohnraum ist heute ein marktwirtschaftliches Spekulationsobjekt. Für viele Menschen bedeutet das:
– Angst vor dem nächsten Brief vom Vermieter
– Verdrängung aus dem eigenen Viertel
– Scham, weil die Miete das gesamte Leben dominiert
– Hoffnungslosigkeit beim Blick auf Wohnungsanzeigen
Das ist nicht „nur ein Marktproblem“. Das ist ein Angriff auf die Menschenwürde. Würde bedeutet Sicherheit, Teilhabe, Selbstbestimmung. Wer 50, 60 oder gar 70 % seines Einkommens für Miete bezahlen muss, verliert genau das.
Die Mietpreisbremse – ein stumpfes Instrument

Ja, es gibt Regulierung. Doch die Mietpreisbremse ist längst ein politischer Papiertiger:
– sie schützt nur Neuverträge
– sie greift nur, wenn Vermieter sich an Regeln halten
– sie verhindert keine spekulativen Mieterhöhungen im Bestand
– sie wird kaum kontrolliert
Das Bundesverfassungsgericht hält sie für verfassungsgemäß – doch verfassungsgemäß heißt nicht wirksam. Rechtlich erlaubt und praktisch wirkungslos sind zwei sehr verschiedene Dinge.
Politik redet – der Wohnungsmarkt entscheidet
Deutschland bräuchte:
– ein echtes Grundrecht auf Wohnen, klar formuliert im Grundgesetz
– massiven sozialen Wohnungsbau, dauerhaft gebunden – nicht nur Übergangsmodelle
– härtere Kontrollen bei Mietwucher
– eine Begrenzung von Renditemodellen, die Menschen wie Verschleißmaterial behandeln
– Kommunen, die nicht weiter Bauland an Investoren verramschen
Solange das nicht passiert, bleibt der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ein schönes Ideal – aber ohne Schutzwirkung im Leben derer, die jeden Monat bangen, ob sie ihr Zuhause noch halten können.
Fazit
Die Menschenwürde steht auf dem Papier. Aber Papier schützt nicht vor Mietsteigerungen. Würde braucht politischen Mut, klare Regeln – und den Willen, Wohnen nicht als Ware, sondern als Grundbedürfnis zu behandeln. Alles andere ist Selbsttäuschung.
